Im HLV-Interview: Melat Kejeta

  22.10.2020    Leistungssport Wettkampfsport
Trotz des ganzen Trubels rund um ihren Erfolg bei der Halbmarathon-WM, hat sich Melat Zeit genommen und exklusiv für die hessische Leichtathletik-Gemeinde einige Fragen beantwortet.

Fünf Tage ist er nun her, der Sensations-Coup von Melat Kejeta. Bei den Halbmarathon-Weltmeisterschaften im polnischen Gdynia lief die Hessin nicht nur zur Silbermedaille, die Athletin des Laufteam Kassel stellte mit ihrer herausragenden Leistung zusätzlich gleich mehrere Rekorde auf. Mit der Top-Zeit von 1:05:18 Stunden knackte der Schützling des ehemaligen Marathon-Bundestrainers Winfried Aufenanger den 25 Jahre alten deutschen Rekord von Uta Pippig (1:07:58 std.). Die 10-Kilometer-Marke passierte die gebürtige Äthiopierin nach 30:47 Minuten und unterbot damit die bisherige deutsche Bestzeit von Irina Mikitenko, die 2008 in Karlsruhe 30:57 Minuten gelaufen war. Darüber hinaus ist die 28-jährige Nordhessin nun Inhaberin des Europarekordes über die Halbmarathon-Distanz für reine Frauenrennen. Die bisherige Marke wurde seit 2008 von der Holländerin Lornah Kiplagat mit 1:05:25 Stunden gehalten.

Herzlichen Glückwunsch Melat! Hand auf’s Herz, was war Anstrengender: Der Halbmarathon oder der Social-Media-Marathon in den 48 Stunden danach?

Oh ja, wahrscheinlich Letzteres. So viel los war in meinen sozialen Medien noch nie.

Dein phänomenales Rennen ist nun ein paar Tage her. Welche Gedanken gehen Dir mit ein wenig Abstand durch den Kopf und welche Emotionen fühlst du gerade?

Ich bin sehr stolz und einfach glücklich. Langsam entwickelt sich alles in die Richtung, die ich mir vorgestellt habe.

Du bist nicht unbedingt als Medaillenkandidatin angereist. Was hattest Du Dir selbst für diesen Wettkampf zugetraut?

Ich wusste, dass ich schnell laufen kann. Aber ich hatte mir nur vorgenommen alles zu geben und in Richtung meiner persönlichen Bestzeit zu laufen.

Kannst Du uns kurz den Rennverlauf aus Deiner Sicht schildern?

Am Anfang wollte ich versuchen, mit der Spitzengruppe mitzuhalten. Dann ist alles relativ schnell passiert: Zunächst sind glaube ich drei Läuferinnen gestürzt, dann habe ich nur noch den „Tunnel“ gesehen. Kurz vor dem Ziel ist dann auch noch die führende Läuferin falsch abgebogen. Ich gebe zu, dass ich Glück hatte, aber ich bin auch das perfekte Rennen gelaufen. Am Ende habe ich mich einfach nur gefreut.

Welchen Anteil am Erfolg spielen Dein Heimtrainer Winfried Aufenanger und das Laufteam Kassel, zu dem Du zur Saison 2019 gewechselt bist?

Wir sind eine Familie. „Aufi“ lässt mir bei vielem freie Hand, aber ich weiß, dass er immer für mich da ist und versuchen wird mir zu helfen, wenn ich das brauche. Im Laufteam verstehen wir uns super und ich finde immer jemanden, der mit mir trainiert, wenn ich in Kassel bin. An dieser Stelle möchte ich mich bei der Firma IMMOVATION AG und Lars Bergmann herzlich bedanken. Herr Bergmann hat in den letzten zwei Jahre alle meine Trainingslager finanziert und ohne ihn würde das Ganze so nicht funktionieren. Er ist natürlich auch Teil unserer Laufteam-Familie und hilf nicht nur mir.

Welche Rolle hat Dein Höhentrainingslager in St. Moritz (Schweiz) gespielt und wie kommst Du generell mit solchen Höhentrainingslagern zurecht?

In meinen Augen gibt es kaum etwas Besseres als Höhentrainingslager. Die haben bei mir immer gut funktioniert. In der Schweiz konnte ich mich komplett auf’s Laufen konzentrieren. Das hat definitiv viel gebracht.

Das Jahr 2020 steht im Zeichen der Corona-Pandemie. Wie hat sich für Dich das Training im letzten halben Jahr dargestellt und welche Wettkämpfe konntest Du absolvieren?

Im Februar bin ich auf der arabischen Halbinsel im Emirat Ras Al Khaimah einen Halbmarathon gelaufen [dt. Jahresbestzeit in 68,55 Min.; Red.] und kurz danach kam die Corona-Pause. Ab April war ich wieder regulär in Baunatal unterwegs, aber das konnte man nicht mit einem Trainingslager vergleichen. Vor zwei Monaten bin ich dann nach St. Moritz gefahren, von dort zurück zu einem Halbmarathon in Frankfurt [69,04 Min.; Red.] und anschließend nach Berlin zu einem Event. Wenig später ging es dann zur WM nach Polen.

Du hast die letzten Jahre ein Konzept mit zwei Trainingsstandorten verfolgt: Zum einen in Deutschland, zum anderen in Ost-Afrika. Was sind für Dich die Vorteile einer solchen Trainingsorganisation?

Der größte Vorteil ist, dass man sich dort „einsperren“ und einfach nur auf das Laufen konzentrieren kann. Hier in Deutschland ist das mit meinem normalen Leben drumherum nicht so einfach.

Offensichtlich ist das Laufen bei Dir die Nummer 1. Aber hast Du noch andere sportliche Talente, zum Beispiel in anderen Leichtathletik-Disziplinen oder in einer anderen Sportart?

Nein, das Laufen ist die klare Nummer 1.

Hast Du eigentlich Rituale oder gar eine Marotte beim Training oder am Wettkampftag?

Nicht wirklich, ich bin da ganz normal.

Ist die Saison nun für Dich beendet? Wie sieht Deine weitere Trainingsplanung aus?

Das weiß ich noch nicht, ich habe da so etwas im Kopf, aber das möchte ich noch nicht verraten. Im Frühjahr möchte ich einen Marathon und einen Halbmarathon laufen. Geplant ist dann ein Trainingslager vor den Olympischen Spielen.

Was sind Deine nächsten sportlichen Ziele?

Naja, nächstes Jahr ist Olympia. Dort möchte ich auch wieder alles geben.

Seit einiger Zeit wird in Läuferkreisen die Entwicklung bei den Laufschuhen heiß diskutiert. Hier sind Carbon-Platten in der Schuhmittelsohle die neueste Innovation. Läufst Du einen solchen Schuh und verspürst Du den versprochenen Energieschub?

Ich glaube, solange diese Schuhe für jeden verfügbar sind, ist das okay. In den letzten Jahren hat vor allem ein Ausrüster solche Schuhe geliefert, und da waren natürlich diejenigen Athleten privilegiert, die mit diesem Ausrüster einen Vertrag hatten. In diesem Jahr haben nun auch andere Firmen ihre Carbon-Schuhe, also ist alles wieder gut. Ob ich da was verspüre? Naja, das ist nicht so einfach zu sagen und wir müssen das wohl noch längerfristig ausgewerten.

Wenn Melat Kejeta nicht gerade läuft, macht sie am liebsten …?

Kochen und fernsehen.

Liebe Melat, vielen Dank, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast. Wir wünschen Dir alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Deine sportlichen Ziele.

Ihr wollt noch mehr über die sympathische Hessin erfahren? Dann schaut mal auf Melats Instagram-Profil vorbei.

Nebenstehend findet ihr weitere HLV-Veröffentlichungen über ihren Werdegang.

 

erstellt von Björn Günther